Nachtchaos

Nachtchaos

Eine kleine Geschichte über den Moment und das Vergessen der Konsequenzen.

Das Klappern meiner Absätze kommt mir seltsam laut vor in der unnatürlichen Stille des Treppenhauses. Erst vor wenigen Minuten hatte ich jede einzelne dieser Treppenstufen erklommen und meine Wohnung betreten. Nun fällt die Haustür mit einem leisen Knall hinter mir ins Schloss und die Ruhe der Nacht nimmt mich wieder auf. Sie spricht von einer Geborgenheit, die man nur in sich selbst findet, lässt einen allein mit den eigenen Gedanken und zwingt einen förmlich dazu, sich über seine Taten bewusst zu werden.

Zügig bewegen sich meine schmerzenden Füße und legen Meter um Meter zurück. Meine Gedanken fliegen lose durch meinen Kopf und entschlüpfen wie kleine Quallen den zugreifenden Fingern, wenn ich sie zu fassen versuche. Doch es ist nicht wichtig zu denken, jedenfalls für den Moment. In diesem Moment zählt nur das Fühlen, Spüren und Fliegen der Seele. Ein Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht, als ich an das letzte Mal denken muss und die Vorfreude lässt mich die Schmerzen meiner Füße vergessen.

Ich betrete den verlassenen Park und die Dunkelheit schluckt meine Zweifel. Flüchtig ziehe ich meine Schuhe aus und strecke die Zehen in die nasse Erde. Das feuchte Gras umstreift meine Füße und kleine kitzelnde Grashalme bleiben immer wieder zwischen den Zehen hängen. Ob sie mich aufhalten wollen? Vielleicht würden sie es tun, wenn sie können. Vielleicht wissen sie etwas, das ich nicht weiß. Eine ursprüngliche Weisheit, aufgenommen über die Erde, die so viel älter ist, als wir es jemals begreifen werden.

Vielleicht ist es nicht schlau, was ich tue. Doch die Feuchte des Grases unter meinen Füßen und die kühle Nachtluft lassen mich so lebendig fühlen, dass ich jegliche Zweifel beiseite schiebe und nur für den Moment lebe. Wer weiß, was mich am Ende meines Weges erwartet. Es ist jedes Mal anders, wie eine Achterbahn, die ihren Lauf beständig ändert und aus dem Looping auf halbem Wege eine gerade Strecke macht, sodass man eine Weile kopfüber in der Luft hängt. Manchmal so berauschend, dass man den Kopf unterwegs verliert und jegliche Gedanken verschwinden. Schwerelos und schwindelfrei schwebend in dieser leuchtenden Welt vollkommener Dunkelheit. Es gibt keinen Anfang, kein Ende und nichts, das sich dazwischen befinden könnte.

Ich bleibe kurz stehen, sauge die kalte Nachtluft ein und lege den Kopf in den Nacken. Wie seltsam es ist, dass man sich beim Blick in den Nachthimmel stets fragt, ob die Sterne mehr wissen als man selbst. Warum sollten Milliarden Jahre entfernte Gaswolken sich dessen bewusster sein, was wir wollen, als wir? Mein Blick sinkt vom dunklen Nachthimmel auf den Horizont. Wenn man lange genug hinsieht, kann man entdecken, dass ein leichter rosa Schimmer sich über das schwarz gelegt hatte und vom nahenden Morgen spricht. Ein leichtes Kopfschütteln überkommt mich intuitiv, dass ich zu dieser Zeit unterwegs bin. Allein in diesem dunklen Park. Doch der Morgen ist für mich noch fern. So fern wie der nächste Tag und die Konsequenzen, die er mit sich bringen mochte.

Konsequenzen waren etwas, an das man viel zu oft dachte. Wie das Beil einer Guillotine schweben sie beständig über unseren Köpfen und lassen uns all unsere Entscheidungen millionenfach überdenken und stets nur nach reiflicher Überlegung treffen. Doch nun sind sie ganz hinten in die entfernteste Ecke meines Kopfes geschoben. So weit fort von mir selbst, wie es nur möglich ist.

Meine Schritte werden schwebend und ohne nachzudenken tragen sie mich meinen Weg. Mein Blick wandert über die dunklen Grashalme vor mir und beobachtet die sich wiegenden Halme. Manchmal, wahrscheinlich morgen früh, musste ich mir eingestehen, dass auch ich an Konsequenzen dachte. Dass auch meine Gedanken wanderten und verlangten zu wissen, wo das alles hinführte. Warum konnten wir nicht im Hier und Jetzt leben? Warum gab es stets die Frage auf ein „und dann?“. Immer brauchte der Mensch Ziele.

Ein leises Schnauben entfährt mir und lässt mich die Stille der Nacht noch deutlicher spüren. Die Härchen auf meinen Armen haben sich längst aufgestellt, als die kalte, feuchte Nachtluft über sie gestrichen ist. Vielleicht tat ich das alles hier nur, um mir zu beweisen, dass ich mit dem Moment glücklich sein konnte. Dass ich nicht immer an Morgen denken musste und an Dinge, die eventuell einmal sein würden. Vielleicht war es ein Test. Ein Spiel mit mir selbst. Doch schulterzuckend musste ich bekennen, dass ich es selbst einfach nicht wusste. Weder kann ich mir die Frage beantworten, wohin all dies führen würde, noch wohin ich es lenken würde, so ich denn könnte.

Ich erreiche den Rand des Parks und ziehe meine Schuhe wieder an, die in der letzten Zeit nutzlos an meiner rechten Hand gebaumelt haben. Meine Augen verweilen kurz auf dem ruhenden Wasser zu meiner rechten, bevor ich die letzten Meter über den toten Beton zurücklege. Das Pochen meiner schmerzenden Füße lässt mir die Situation wieder bewusst werden und meine Schritte werden kürzer, zögernder. Welcher Teil von mir ist es, der mich dies hier tun lässt? Was gibt es mir und was wird am Ende der Preis sein?

Es war egal, für den Moment spielte all das keine Rolle. Ich genoss es und das war es wohl, was dies hier mir gezeigt hatte. Nicht nachzudenken, sondern den eigenen Wünschen einfach nachzugeben, zu handeln, ohne zu denken, ohne Konsequenzen zu fürchten und nicht den nächsten Morgen zu erahnen. Vielleicht ist es riskant, naiv und vielleicht auch ein wenig voller Hoffnung. Vielleicht erwarte ich doch mehr, als ich mir zu diesem Zeitpunkt eingestehen will. Doch vielleicht ist nur ein Wort und dieser Moment ist so viel realer.  Und dann verschwindet das Zögern wieder und meine Füße tragen mich weiter.

Vielleicht sollten wir alle einfach mehr tun, was wir wollen, ohne nachzudenken. Denn vielleicht machte das viele Sachen so viel einfacher und vielleicht bringt es uns der Schönheit des Lebens ein Stück näher, wenn wir genießen, ohne zu denken, handeln, ohne zu fürchten und leben, ohne zu warten.

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